„In einer Stunde können wir essen“ höre ich die vertraute Stimme aus der Ferne. Ein Blick auf die Uhr: viertel nach drei. Alles klar, das habe ich im Griff. Freude und Vorfreude huscht durch mein Gemüt. Freude, weil ich entgegen anderslautender Gerüchte in der Lage bin, auf die Zeit zu achten. Denke ich. Vorfreude, weil ich weiß, was es gleich zum Abendessen gibt.
Der Gedanke, dass zwischen viertel nach drei und Abendessen üblicherweise mehr als eine Stunde liegen, schafft es diesmal nicht durch die rosa Wolken aus Selbstüberschätzung und Appetit.
Ich werkel so vor mich hin, die innere Deadline auf vier Uhr gesetzt.
Nach einer Weile schaue ich routinemäßig auf die Uhr. Der Sekundenzeiger läuft, es ist viertel nach drei. „Ach, da hast Du ja noch Zeit. Lass mal was neues anfangen“ freue ich mich mit mir selbst. Ich bin umgeben von meinen besten Freunden, jeder an seinem Platz. Es ist still, nur der Wind pfeift ab und zu durch die Ritzen. Niemand sagt ein Wort, ich höre nur meinen eigenen Gedanken zu. Und die sind hier frei, an diesem magischen Ort. Seit kurzem gibt es sogar Licht, echtes Licht mit echten Schaltern. „Ich steh sogar manchmal nachts auf und hol mir welche schalte sie ein und aus! Aber leicht müssen sie gehen.“
Seit heute gibt es hier sogar zwei bequeme Sessel. Männerparadies.
Plötzlich geht die Tür auf. Ich denke an den Wind, der dies ab und zu schafft und drehe mich in Gedanken um, um sie wieder zu schließen. Unvermittelt schaue ich in bronzefarbene Augen, die vor Hohn und Spott nur so triefen „na Herr P., Zeit vergessen?“ höre ich eine ebenso belustigte wie spöttische Stimme.
„Nein, überhaupt nicht“ antworte ich triumphierend und drehe mich dabei schon zurück, um mit staatsmännischer Geste auf die Uhr zu zeigen. „es ist doch erst …„
Viertel nach drei.
„neunzeeeeeeehn Uhhhhhhrrrrr“ lacht es von draußen.
Mist, Batterie leer! Denke ich, nehme die Uhr herunter und die Batterie raus.
Mit vielen blumigen Worten versuche ich beim Essen, das Missgeschick zu erklären. Hätte ich mir sparen können, war aber lustig.
Mit einer frischen Batterie bewaffnet gehe ich am nächsten Tag federnden Schrittes zu meinem Kleinod. Ich lege die Batterie ein, prüfe den richtigen Sitz, klopfe zweimal ans Uhrengehäuse und drücke den Reset-Knopf. Wie auf Kommando fängt die Uhr an zu schnurren und zu laufen, stellt sich Dank Funktechnik auf viertel vor sechs und tut ihren Dienst. Bevor ich sie wieder an ihren Platz unübersehbar in der Mitte der Wand hänge, gibt es natürlich einen Uhrenvergleich. Check – iPhone und Paradiesuhr laufen synchron.
Also frisch und frei ans Werk. Immerhin habe ich ja noch einiges zu erledigen.
Ab und zu huscht mein Blick zu den Zeigern. Alles perfekt, die Uhr läuft.
Als ich keine Lust mehr habe und beschließe, für heute zu gehen, schaue ich nochmals auf die Uhr. Hmm, viertel nach sechs. „Das KANN nicht stimmen“ denke ich so bei mir und tatsächlich. Es ist geschmeidige drei Stunden später. Wie das so ist, wenn man sich in Projekten mit guten Freunden verliert.
Ich zucke mit den Schultern, nehme die Uhr von der Wand und schmeiße sie weg. Ist ja auch schon uralt das gute Stück, Zeit für den Ruhestand.
Am Abend grübele ich noch ein wenig darüber nach, woher ich denn nun eine neue Wanduhr bekomme. Aber schnell sind andere Dinge viel wichtiger und schöner.
Drei, vier Tage später – die Uhr ist längst vergessen – gehe ich mal wieder meine Freunde besuchen und die Ruhe genießen. Dabei fällt mein Blick auf den leeren Platz an der Wand und eine Erinnerung huscht mir durch den Kopf. Nebenan, bei den Fahrrädern. Da hängt doch auch eine Uhr. Und niemand braucht sie dort. Gedacht, getan. Die Uhr hängt noch dort, läuft und zeigt die richtige Zeit.
„na das war jetzt einfach“ freue ich mich. Die Uhr wechselt den Platz, ich auch und lasse mich zufrieden in den Sessel fallen. Ich bin umgeben von meinen besten Freunden, jeder an seinem Platz. Es ist still, nur der Wind pfeift ab und zu durch die Ritzen. Niemand sagt ein Wort, ich höre nur meinen eigenen Gedanken zu. Und die sind hier frei, an diesem magischen Ort. Seit kurzem gibt es sogar Licht, echtes Licht … naja, das hatten wir alles schon. Aber es fühlt sich wahnsinnig männlich an, sein Leben so im Griff zu haben.
Die Tage vergehen und es passiert dies und das. Also eher nix in dieser Zeit. Irgendwann brauche ich dringend einen meiner Freunde und gehe ihn holen. Dabei fällt mein Blick auf die (neue) Uhr: viertel nach elf. DAS wiederum stimmt aber nicht, denn draußen ist es schon dunkel. Und nein, auch nicht mitten in der Nacht. Sondern einfach halb fünf.
Freunde sollte man nicht vernachlässigen, aber das wurmt mich jetzt doch. Ich laufe zurück, hole eine frische Batterie und denke kurz daran, wieviel Zufälle es eigentlich geben kann. Zwei leere Batterien, kurz nacheinander. Naja, es ist wie es ist. Ich tue das übliche: klopfen, reseten, prüfen. Alles klar.
Inzwischen habe ich vergessen, was ich eigentlich hier wollte und widme mich irgendetwas anderem. Einige Zeit später: ich höre Stimmen von draußen, die sich nähern. Bevor ich hier „erwischt“ werde, gehe ich vor die Tür. Keine Gefahr, nur mit der Ruhe ist es aus. Eine gute Freundin des Hauses und die Hausbesetzerin selbst kommen mich besuchen. Wie schön!
Wir plaudern, ich zeige stolz mein Paradies und irgendwann wird es für die Freundin Zeit zu gehen. Sie schaut noch kurz auf die Uhr an der Wand und … „ach, es ist ja erst viertel nach elf. Dann habe ich ja noch Zeit“ sagt sie ohne den geringsten Versuch, ihren lästerhaften Unterton zu verbergen. Dreht sich um und geht, um mit Ihrem Mann zu Abend zu essen.
Ich bleibe alleine zurück, aus der Ferne höre ich das Lachen der geliebten Hausbesetzerin. Ich schaue mich um. Alle meine Freunde sind da, es ist schön hier.
„ach, was schert uns die Uhr?“ sage ich zur Bohrmaschine, „Hauptsache, ich fühle mich wohl in meiner Werkstatt!“
Da darf auch gerne mal die Zeit stehen bleiben.
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