Möwen füttern verboten

„na dann lehnen Sie mal ganz entspannt den Kopf zurück“

Meine Entspannung dauerte genau so lange an, bis mir der Typ das Wattestäbchen bis zum Gehirn in die Nase schiebt. Die gute Nachricht ist, dass er dort auf Widerstand stößt, also ganz leer scheint es da oben nicht zu sein. Meine Freude darüber war allerdings nicht für jedermann sichtbar, denn für die nächsten 2 Stunden liefen mir Tränen aus den Augen.

„Wenn Sie wieder etwas sehen können, dürfen Sie gerne weiterfahren“ – der Typ vom Corona-Testzentrum hatte wenigstens einen schrägen Humor, auch wenn ich ihn gleich wegen Folter anzeigen werde.

Wegen der Tränen konnte ich das Testergebnis per E-Mail selbst nicht lesen, aber da es einen kausalen Zusammenhang zwischen Hotelzimmer und Testergebnis gibt, scheint er negativ gewesen zu sein.  

So beginnt also das verlängerte Wochenende nicht wie geplant mit einem Aperol auf der Promenade, sondern mit einem mechanischen IQ Test im drive-in-Testzentrum.

Auf besonderen Wunsch, Einladung und Anlass einer ganz besonderen Dame sind wir für drei Tage in Kühlungsborn – „Seebad mit Flair“. Karl und Walter mussten leider zu Hause bleiben, die zweite schmerzhafte Erfahrung nach dem Wattestäbchen.

Wir verfallen tatsächlich in das Klischee allein reisender Eltern, die sich erst wochenlang darauf freuen, endlich mal Zeit alleine und ohne Verpflichtungen zu haben, sich dann aber ständig Gedanken darüber machen, ob es der zu Hause gebliebenen Brut gut geht, wie sehr man sie vermisst und dass das alles doch eigentlich eine Scheißidee war. „Machen wir nie wieder“ ist einer der am häufigsten gesagten Sätze des ersten Tages.

Nach einem Tag fangen wir uns auch wieder und fangen an wahrzunehmen, wo wir eigentlich sind.

Wie wir später feststellen werden, war das ganze Kopfkino umsonst – die kleine Prinzessin erweist sich nämlich als die perfekte Haus- Hof- und Hundesitterin und wächst über sich hinaus. Prompt verfallen wir in das nächste Klischee, sind unfassbar stolz auf sie und halten sie fast für ein Wunderkind.

Aber noch ist es nicht soweit. Ich kann inzwischen wieder gucken und denken und die kleine Reisegruppe trifft sich fein herausgeputzt zum Abendessen. Und schon lernen wir wieder eine Lektion: es gibt hier noch andere Menschen – es ist voll. Anderthalb Jahre Lockdown, homeoffice und Menschendetox haben uns aus der Übung kommen lassen. Ich bin es gar nicht mehr gewohnt, ein Stimmengewirr aus 200 Kehlen einfach zu ignorieren, statt jedes Wort verstehen zu wollen. Fremde Menschen, die einem nahe kommen, irritieren meinen Geruchssinn. Und wie sichere ich mir den letzten freien Tisch, den 6 andere auch haben wollen?

Gerade rechtzeitig erinnere ich mich an eine Weisheit meines Grafikprofessors: kleine Kinder und Hundewelpen gehen immer. Wir bekommen den Tisch.

In einem Restaurant essen zu gehen ist allerdings geil! Das habe ich tatsächlich vermisst. Dementsprechend übertreiben wir es natürlich – mit allem. Ein Teil der kleinen Reisegruppe wird am nächsten Tag Magenschmerzen, ein anderer Teil Kopfschmerzen haben. Ein sehr kleiner Teil sogar beides.

Wie gut, dass es an diesem Tag keine festen Programmpunkte gibt. Wir gehen los, Kühlungsborn zu entdecken. Die geliebte Hausbesetzerin nach links, in die Richtung, aus der es bunt flattert, glitzert und duftet.

Mich verschlägt es nach rechts, hier ist es windig, sandig und riecht nach Florena Sonnenmilch.

Sie kommt zurück mit ein paar hübschen Tüten und ebenso hübschem Inhalt. Ich weiß nun, was ich hier alles nicht darf. Mein Handtuch neben einen Strandkorb legen zum Beispiel.

Kühlungsborn ist wirklich hübsch. Oder sollte ich sagen „nett“? Nein, es ist hübsch. Alles ist auffallend sauber, alle 30m stehen zwei hübsche weiße Bänke, die Bäume auf der Promenade sind hübsch geschnitten, die Pflastersteine derselben sind hübsch angeordnet, die dahinter stehenden Villen und Hotels sind farblich hübsch aufeinander abgestimmt. Ich mag diese Ordnung sehr, sie gibt Ruhe und Sicherheit.

Um diese Postkartenidylle bewahren zu können, braucht es natürlich Verbot… ähm Regeln. So nach und nach entdecke ich in den nächsten Tagen immer mehr Schilder mit sehr freundlichen, aber konsequenten Regeln.

In nasser Badehose quer über die Promenade zu schlappen ist hier nicht – aber das würde auch nicht passen. Dafür wird der Strand hier jeden Morgen geharkt und die Strandkörbe fein säuberlich ausgerichtet – sortiert nach Nummern.

Ich hatte ja gehofft, dass ich am Strand – während ich in der Sonne liege, meine Badehose trocknet und ich ungeniert Leute beobachten kann – einiges entdecken und für Euch hier aufschreiben kann. Aber da war nicht viel. Friedliches, harmloses, regelkonformes Strandleben. Ruhig, erholsam – aber irgendwie auch langweilig. Ich habe nicht mal ein Stück Brot dabei, um die Möwen zu füttern.

So geht der Tag zu Ende, wir haben ohne Kleinkind-Hundewelpen-Trick einen Platz in der ersten Reihe ergattert und erleben beim Rotwein einen filmreifen Sonnenuntergang. Natürlich fotografiere ich ihn – so wie 300 andere vor uns auf der Promenade auch. Schade dass ich nicht sehen kann, wie dieses Bild tausendfach gleichzeitig auf facebook hochgeladen und gelikt wird. Aber ich kann es mir vorstellen.

http://www.kuehlungsborn.de

Runter vom Sofa (1 – opening)

„Hilde, ist die 102 noch frei?“

Ich hätte ja nicht gedacht, dass mich eine kurze Frage in norddeutschem Kodderton noch so nervös machen kann. Genau so fühlte es sich als 5 jähriger an, wenn ich wissen wollte, wieviel Kugeln Eis ich darf. Damals hing gefühlt mein Leben davon ab, mich nicht zwischen Vanille, Schoko und Erdbeere entscheiden zu müssen.

Ich habe mich sehr daran gewöhnt, dass ich inzwischen derjenige bin, der diese Frage beantworten darf. Und die kleine Prinzessin sollte ihren Großeltern sehr dankbar sein, dass ich sie damals manchmal echt doof fand. Denn bei zwei Kugeln fehlt immer eine. Immer.

Deshalb gibt es heute also grundsätzlich drei Kugeln. Auch wenn sie Erdbeereis gar nicht mag.

Aber nun, ich schweife ab. Denn erstens kann ich mir mein Eis inzwischen selbst kaufen und zweitens hat Hilde inzwischen sehr ausschweifend geantwortet.

„jo“.

Das wiederum fühlt sich an, als hätte Hilde mir gerade einen großen Schwedeneisbecher mit 6 Kugeln spendiert. Es braucht eben nicht vieler Worte, um Menschen glücklich zu machen.

Mit ihrem kurzen „jo“ macht Hilde nämlich den Weg frei, dass sich ein kleiner Traum erfüllt. Wir bekommen spontan einen Platz in der ersten Reihe. Fast direkt am Meer. Ohne Anmeldung, spontan und auf gut Glück.

Genau so hatten wir uns das tatsächlich vorgestellt, als wir Walter in unser kleines Rudel aufgenommen haben. Walter das Wohnmobil.

In so einem Rudel braucht ja jeder seine feste Aufgabe.

Karls Aufgabe ist es, niedlich zu sein. Das meistert er mit Bravour! O.k., aufpassen soll er auch. Kriegt er auch hin. Wir suchen schon nach neuen Aufgaben für ihn, aber so recht ist mir noch nichts eingefallen.

Die geliebte Hausbesetzerin hat sehr vielfältige Aufgaben, z.B. den Alten auf Trab halten. Dies und alles andere meistert auch Sie mit bemerkenswerter Perfektion.

Die kleine Prinzessin entwickelt sich immer mehr zu einer wahren Meisterin der Aufgabenvermeidung. Also ebenfalls check!

Ich bekomme die restlichen Aufgaben, die noch übrig sind. Es ist genau wie beim Essen – alle Reste auf den Tellern zu mir. Kann ich super, alles aufessen!

Und Walter? Walters Aufgabe ist es, uns überall hinzufahren und uns dort dann zu beherbergen.

Hinter dieser scheinbar klaren und einfachen Aufgabe steckt allerdings viel mehr – das weiß Walter aber nicht, glauben wir zumindest.

Denn Walter holt uns runter vom Sofa, im übertragenen Sinne.

Der ein oder andere hat es hier vielleicht schon bemerkt: in den letzten Monaten ist außer Pandemie nicht viel passiert. Die immer gleichen Leute gehen am blauen Zaun vorbei. Das Leben im Dorf ist unverändert schön, aber irgendwie auch vorhersehbar. Zumindest in letzter Zeit, ohne Ausnahmeerscheinungen wie Schützenfest, große Geburtstagsfeiern, Weinfest oder sonstige Aufreger. Jeder sitzt auf seinem Sofa und wartet mehr oder weniger ab, dass die Pandemie vorbei ist.

Natürlich gab es auch in dieser Zeit vor und hinter dem blauen Zaun die üblichen Aufreger. Die Säue, die durchs Dorf getrieben werden, laufen auch am blauen Zaun vorbei. Darüber werde ich auch noch berichten, wenn die Zeit reif ist. Versprochen.

Und trotzdem wollten wir unsere Komfortzone mal wieder verlassen. Raus in die Welt und andere Säu … ähm Geschichten erleben. Und da kommt Walter ins Spiel.

Wir wollen frischen Seewind um die Nase, andere Sprachen und Dialekte hören, Menschen kennenlernen, Einsamkeit aushalten, uns auf das Wesentliche reduzieren.

Und so tauschen wir nun gelegentlich 190qm geschichtsträchtige Mauern gegen 19qm ungewisse Sehnsucht.

Und diese Sehnsucht schauen wir uns zusammen mit Walter dann vom Sofa aus an. Denn runter vom Sofa heißt ja nicht, dass wir es nicht bequem mögen, so rein körperlich.

Dank Hilde sitzen wir nun also hoch im Norden wieder auf einem Sofa und freuen uns darüber, dass der Kanister Weißwein doch in den kleinen Kühlschrank passt. Und wenn wir den Hals recken, sehen wir das Meer. Das mit dem Hals recken sind wir ja gewohnt, anders sieht man zu Hause ja auch nicht, was die Nachbarn so treiben.

Hier interessiert es übrigens niemanden, was wir so treiben. Wohnmobilisten haben die angenehme Eigenschaft, jeden neuen Nachbarn freundlich zu grüßen und ab dem Moment wohlwollend neutral zu ignorieren. Das heißt nicht, dass wir niemanden kennenlernen. Ganz im Gegenteil. Aber es bleibt wertfrei, ob und was und wie ich bin.

Heute morgen, als es Hun…. und Katzen geregnet hat, hielt mir die Frau auf dem Nachbarstellplatz einen Regenschirm hin. „ich weiß ja nicht, ob ihr schon voll ausgestattet seid.“ Nein, sind wir natürlich noch nicht. Daher: vielen Dank!

Außer das Sofa natürlich. Das haben wir den schon erfahrenen Globetrottern voraus und ich bin mir sicher, das eine oder andere anerkennende Lächeln, welches wir damit hier geerntet haben, löst direkt eine Bestellung bei „Camping Wagner“ aus.

Nach dem Abendessen wird Vati hier üblicherweise zum Abwaschen geschickt. Mit der multifunktionalen Kunststoff-Silikon-Klappkiste trottet er zum Waschplatz, um die Spaghetti- oder Raviolireste seines Rudels von den Tellern zu spülen.

Wenigstens ein Klischee, welches wir (ich) nicht erfüllen.

Statt Klischees zu erfüllen oder zu spülen, wandern wir einen guten Kilometer am Strand entlang zu einer kleinen Holzhütte in nordisch anmutendem rot-weiß. Der selbstgebackene Kuchen hier soll ein absoluter Geheimtipp sein.

Ich kann gar nicht anders als diesen Wunsch so lange in verschiedenen Facetten zu äußern, bis die geliebte Hausbesetzerin endlich genervt aufgibt. Sie hat zwar immer noch keinen Appetit auf Kuchen, kommt aber mit.

Allein der Weg dorthin ist ein Traum! Ursprüngliche Ostseeküste mit tausenden Kieselsteinen in allen Formen, Größen und Farben. Dazu in den Wind geduckte Kiefern und ein fast kitschiger Blick auf die Küste Dänemarks. Der Maler dieses Arrangements hat nur vergessen, einen Leuchtturm auf die Landzunge zu setzen – ansonsten ist es perfekt.

Ebenso perfekt ist übrigens der Kuchen, ich kann mich nicht entscheiden zwischen Erdbeer-Frischkäse-Sahne oder Rhabarber – Baiser. Und da das Camper-Leben ja ohnehin schon so entbehrungsreich und karg ist, nehme ich einfach beide.

Meine zunehmende Wampe vergesse ich ganz schnell beim Ausblick auf die Weite der Ostsee. Wie sehr Wind, Wellen, Sonne und Weite den Kopf frei machen, brauche ich Euch gar nicht erzählen. Ich kann es nur empfehlen.

Ort:                       Langballig
Stellplatz:            Campingplatz Langballigau

Charakter:          klar, einfach, sehr gepflegt
                              absolut ruhig, ohne Schnick-Schnack
                              Wohnmobile + Wohnwagen
                              großzügige Plätze

Sanitär:                sehr gut
Kosten:                günstig
Lage:                    70m zum Strand

Infrastruktur:     zu Fuß erreichbar:
                              sehr schöner, kleiner Hafen, Mini-Markt, 3 Restaurants, Imbiss, Kiosk,
Eisdiele, Spielplatz und Outdoor-Fitness am Strand, bewachter Strand

Fahrrad:              unbedingt mitnehmen und nutzen

auf dem Platz:   Strom, Wasser, Ver- und Entsorgung, Sanitär

Empfehlung:       8 von 10 *

Einer muss ja

Es pladdert. Und wenn ich sage „es pladdert“, dann meint das nicht einfach Regen. Sondern dann sind das Tischtennisballgroße Wasser-Ninjas, die vom Himmel stürzen. „Es regnet Hunde und Katzen“ kann ich ja nicht mehr sagen, wenn wir in diesem Haus weitgehend diskriminierungsfrei sein wollen.

Auf alle Fälle müssen wir raus – Karl zum pinkeln, ich zum rauchen. Da Karl andere Menschen nicht leiden kann und ich um diese Uhrzeit noch keinen Regen, gestaltet sich das einigermaßen schwierig. Jeder Hundetrainer betet es Dir vor wie ein Mantra: „wenn Du willst, dass Dein Hund Dir folgt, musst Du ohne Zaudern vorangehen“. Haha, sehr lustig wenn Dir kurz nach dem Wachwerden 5 Liter kaltes Wasser in den Nacken gekippt werden.

Aber hilft ja nix – einer muss ja.

Da wir nicht zu Hause im #dashausmitdemblauenzaun sind, sondern knapp 300km nördlich auf einem feinen Campingplatz, muss Karl auf seinen menschenfreien Garten verzichten. Ich verzichte auf die erste Zigarette des Tages ohne sprechen.

Kaum sind wir herausgetreten, höre ich bestimmt 20mal „da hinten wird es schon wieder hell“ von den benachbarten Stellplätzen. Alles klar – ich kann also weder den Kalauern noch den Halbwahrheiten entkommen, egal wo ich gerade bin. Das Helle dahinten ist nämlich die Straßenlaterne, die nicht nach Uhrzeit, sondern nach Helligkeit ein- und ausgeschaltet wird. Und ja, diese Regenwolken hier sind verdammt dunkel.

Irgendwie schaffen wir es, das Notwendige zu erledigen. Statt einem menschenfreien Garten finden wir einen menschenleeren Strand vor. Das versöhnt auch Karl wieder ein wenig.  Und hier spare ich auch die Worte, die ich morgens sowieso noch nicht habe. Herrlich!

Mit den Füßen im Salzwasser fühlt sich der Regen auch gar nicht mehr so nass und kalt an. Wir laufen ein Stück, verjagen übermütig die Strandläufer mit ihrem roten Schnabel und eilen irgendwann zurück.

Noch einmal zu der geliebten Hausbesetzerin unter die Decke schlüpfen wage ich nicht, so nass wie ich bin. Schlafende Frauen soll man(n) ja nicht unnötig erschrecken.

Dumm rumstehen mag ich auch irgendwie nicht, das machen die Wohnmobile hier schon ganz anmutig.

Also schnappe ich mir meinen Hut und gehe zum Hafen. Schließlich ist es Sonntag und einer muss ja Essen jagen. Karl ist es jedenfalls nicht, trotz großer Mühe hat er keinen der Strandläufer erwischt.

Dort, wo es Fischbrötchen gibt, müsste es doch auch Brötchen geben – ohne Fisch. Oder?!

Ich schaue mir sehnsüchtig die Segler an, die im Hafen liegen. Bei zwei Schiffen klappert das Großfall im Westwind, ein paar Möwen kreischen sich an und der Fischer kommt gerade wieder rein. Kitschige Hafenromantik, aber ich liebe es!

Da fällt mein Blick auf das Angebot der Woche beim örtlichen Hafenbistro: ein Fischbrötchen nach Wahl und ein Glas Prosecco für 5,90.

Ein so verlockendes Angebot hat mir am Sonntag Morgen schon lange keiner mehr gemacht. Ich gehe hinein, die freundliche Dame hinterm Tresen erinnert mich nur entfernt an Frl. Meyer, ist aber mindestens genauso gut gelaunt wie ich gerade. Ich bestelle unser Sonntagsfrühstück und einen Espresso für die Wartezeit.

Als ich mit einer nach frischem Räucherfisch und warmen Brötchen duftenden Tüte wieder hinaustrete, hat es aufgehört zu regnen. Sogar die Sonne kämpft sich langsam hervor. Sollte es tatsächlich wahr sein, dass nach Regen immer wieder die Sonne scheint?

Es fühlt sich so an. Denn inzwischen duftet es am Wohnmobil auch nach frischem Rührei.

„Keine Termine und leicht einen sitzen“ ist nicht nur Harald Juhnkes Definition von Glück, sondern ab sofort auch meine.

Ich nehme den letzten Schluck Prosecco und lege mich nochmal schlafen. Ich muss heute nämlich nix mehr.

#sonntagbeimbäcker

#ClubdertotenMänner (3)

Ich wache auf und merke sofort – irgendetwas ist anders. Kein Ziehen im Rücken, mein Kopf ist klar und munter. Selbst meine Hose, Karl und sein Spielzeug liegen still und leise da, wo sie hingehören.

Wie jeden Sonntag schlüpfe ich in irgendwelche Klamotten und setze die Mütze auf. Das vertraute Ritual beruhigt mich.

„wir können auch Brötchen aufbacken, du musst nicht los, wenn Du nicht magst“
War das die Stimme der geliebten Hausbesetzerin? Was ist heute los? Ich schaue mich suchend um, kann aber nirgends Feenstaub entdecken.

Männer brauchen Sonntags Routine, Änderungen machen skeptisch und unsicher.
Und wenn, wollen wir selbst entscheiden, uns den kleinen Vorteil selbst erkämpfen.
„das geht schon, bin gleich wieder da“ rufe ich der Fee zu und steige vor lauter Übermut ins Auto und fahre zum #ClubdertotenMänner.

Bei Frl. Meyer ist alles wie immer: eine kleine Schlange schweigender Männer huldigt ihrer heimlichen Königin. Doch, eins ist anders: ich bringe meine Bestellung mit klarer Stimme und im ganzen Satz hervor.

Was ist hier los??
Wenn jetzt die Schwiegermutter noch anruft und den Besuch absagt, drehe ich durch…

#SonntagbeimBäcker im #ClubdertotenMänner
#dashausmitdemblauenzaun

Alles unter einem Hut

Morgens halb sieben ist die Welt noch in Ordnung. Zumindest für Karl.

Ich werde wach, weil es sich anhört, als würde der Seppel Joseph neben mir für das Finale der Schuhplattler Meisterschaft üben. Ich versuche mich kurz zu erinnern, ob wir gestern Abend aus Versehen nach Bayern gefahren sind.

Aber nein – die erste gute Nachricht des Tages ist: ich bin zu Hause. Das Rudel ist vollzählig, wenn auch nur halb wach. Bis auf einen. Der ist krähwach. Seppel Joseph entpuppt sich nämlich als Karl – Rudelmitglied Nr. 4, der sich auf dem Holzfußboden allerdings aufführt als wäre er die Nr. 1. Tippelt und tänzelt umher, überwindet völlig schamlos meine Komfortzone und deponiert all sein Spielzeug neben meinem Ohr. Und weil ich ja jetzt sein Spielzeug habe, schleppt er meine Hose weg. Stolz wie Oskar trägt er seine Beute durchs Haus.

„Scheiß Party – wenn ich meine Hose finde, gehe ich nach Hause“ schießt es mir durch den Kopf. Aber da ich zum Glück ja zu Hause und nicht in Bayern bin, kann ich mir auch einfach eine neue aus dem Schrank nehmen. Immerhin.

Während Karl mir weiterhin ungeniert seine Beute präsentiert, schaffe ich es irgendwie zur Kaffeemaschine. Auf dem Weg dorthin komme ich am großen Spiegel vorbei. Ach Du Scheiße! Ich sehe aus, als hätte ich an der Kissenschlacht-Meisterschaft teilgenommen – und verloren.

Ich weiß ja, ich müsste dringend mal wieder zum Frisör. Aber dafür ist es jetzt noch zu früh. Und für den Moment sowieso zu spät. Wenn ich es noch schaffe, mit Hilfe von Kaffee und Zigarette halbwegs wach zu werden, habe ich schon gewonnen. Nr. 4 muss nämlich raus, dringend. Alles andere ist erstmal zweitrangig – auch die Haare.

Trotzdem lässt mich der Gedanke beim Kaffee nicht los: so kann ich nicht raus auf die Straße. Mir ist zwar vieles egal, vor allem was andere von mir denken. Aber als Clown bin ich hier auch nicht angestellt.

Kapuze. Ich ziehe einfach die Jacke mit Kapuze an! Nee, erstens mag ich die Jacke nicht, zweitens hält die olle Kapuze genau 20 Sekunden, bevor sie mir vom Kopf rutscht.

Ich versuche es schnell mit der Bürste – aber die ist machtlos gegen das Gestrüpp auf meinem Kopf und ich sehe nicht nur aus als hätte ich die Kissenschlacht verloren, sondern dabei auch noch meine Würde.

Während ich beim letzten Schluck Kaffee nach weiteren Optionen suche, kommt Nr. 2 um die Ecke und lacht sich erstmal tot. Danke! Ich Dich auch – meistens jedenfalls!

Sie verschwindet kurz im Flur und reicht mir kurz darauf stumm ein Cap. Naja, ganz stumm nicht: ihre Augen sprechen Bände. Und die sagen „setz das Ding auf und stell Dich nicht so an. Karl muss raus“

Ich hasse Mützen jeder Art. Darunter ist es immer viel zu warm. Außerdem fühlt es sich an, als würden 1000 Käfer Junggesellenabschied feiern. Schon meine Mutter ist daran verzweifelt und wenn sie Recht behalten hätte, wäre ich längst erfroren. Der Fisch friert ja bekanntlich immer am Kopf zuerst.

Zum Glück bin ich kein Fisch, also auch nach 46 Wintern nicht erfroren und setze das Scheißding einfach auf. Hilft ja nix. Karl guckt mich an, als ob ich ein Fisch wäre – kommt aber trotzdem freiwillig mit. Immerhin bekommt er von mir später sein Futter.

Und wie wir so durch den nasskalten Morgen schlendern – ich in Gedanken bei den Käfern auf Junggesellenabschied, Karl bei der nächsten Pusteblume – kommen uns diverse andere Rudelführer mit ihren Hunden entgegen.

Und was soll ich sagen – Karl schaut sie alle an, als wären sie ein Fisch. Und im übertragenen Sinne stimmt das ja auch. Denn sie alle tragen eine Mütze.

Mal aus Wolle, mal groß, mal klein, hell oder dunkel, mit Schirm, ohne … alles dabei. Nur keine Frisur, die sitzt.

Sollte es etwa, also bin ich vielleicht heute morgen nicht der Einzige….?

Nachdem ich eine Weile all die Mützen- und Hutpassanten beobachtet habe, drängt sich mir eine Theorie auf: hatte meine Mutter gar nicht Recht und denen ist allen gar nicht kalt?

Tragen die alle vielleicht nur etwas auf dem Kopf, weil sie genau wie ich dringend zum Frisör müssen und das vor der Kissenschlachtmeisterschaft nicht mehr geschafft haben?

Mit anderen Worten: haben sie alle etwas zu verbergen? Nämlich die schlechtsitzende Frisur?

Wenn das tatsächlich so wäre ….. bräuchte ich nie wieder Mütze oder Cap tragen. Ich müsste nur schnell auch alle anderen davon überzeugen, dass es viel zu warm ist und juckt am Kopf. Dann würden wir alle gleich bescheuert aussehen mit unserem Wuschelkopf. Aber es wäre egal, wir sind ja unter uns morgens kurz nach sieben.

Auf dem Weg nach Hause denke ich ernsthaft darüber nach, wie ich all die armen, bemützten Seelen überzeugen und „unter einen Hut bringen“ könnte – nämlich keine Mütze mehr zu tragen. Da kommt mir H. entgegen, der Grand Senior des Dorfes und seines Zeichens Frisörmeistermeister. NATÜRLICH ist er frisch frisiert und sieht aus, wie aus dem Ei gepellt. Zum Gruß lüfte ich mein Cap ein ganz klein wenig mehr als es nötig gewesen wäre.

Sein Blick: unbezahlbar!

#ClubdertotenMänner (2)

Rechtzeitig an den Nachwuchs zu denken, ist wichtig. Das wissen viele Unternehmen – und bilden deshalb aus. Das wissen auch Frauen ab 30 – und … ach egal 😉

Das wissen auch die Mitglieder im Club der toten Männer – und schicken gelegentlich Ihren Nachwuchs. Im doppelten Sinne sogar: der eigene Nachwuchs wird zum Club-Nachwuchs ausgebildet. Sehr raffiniert.

Was passiert, wenn ein guter Unternehmer in eine Frau ab 30 verliebt ist, kann man(n) heute am Muttertag im Club beobachten: Nachwuchsförderung im dreifachen Sinne: drei Jungs, offensichtlich Brüder, holen Brötchen.

Der Älteste hat das Geld – und die Einkaufsliste.

Ich bin fasziniert: abgesehen vom dreifachen Nachwuchs, ich wäre nicht in der Lage Brötchen nach Liste zu kaufen. Woher soll ich schon zu Hause wissen, worauf ich Appetit habe?! Ok, am Ende wird es doch immer das Gleiche, mit minimalen Abweichungen. Aber ich könnte, wenn ich wollte… mit einer Liste könnte ich nicht.

Die Jungs dürfen und können auch nicht. Das Geld ist nämlich genau abgezählt auf den Inhalt der Liste. WTF?! Ich habe eine Ahnung, zu welchem Ausbilder ähhhm Vater die drei gehören könnten. Es muss dieser Buchhalter Typ sein, der gelegentlich eine vorbestellte Tüte abholt.

Einkaufsliste, Dreifachnachwuchs, Vorbestellung – ich bin fix und fertig. Ich kaufe drei Schokomuffins extra und schenke sie den Jungs. Hihi, jetzt sind die drei genauso irritiert wie ich.

Ich gehe vergnügt nach Hause und freue mich mehr denn je auf meine Frau und ausreichend Restgeld in der Tasche.

#SonntagbeimBäcker im #ClubdertotenMänner

#dashausmitdemblauenzaun

#ClubdertotenMänner (1)

jeden Sonntag treffen sie sich: unrasierte, stumme Männer in hastig übergeworfenen Klamotten. Sie stehen schweigend in der Schlange, um den Auftrag zu erfüllen, zu dem es keine Kompromisse gibt: frische Backwaren nach Wunsch der Herzensdame und der gemeinsamen Brut nach Hause bringen.
#SonntagbeimBäcker im #ClubdertotenMänner

Es ist noch nasskalt, ich bin müde und alle Knochen tun mir weh. Jetzt schön unter die heiße Dusc… „WIR HABEN JETZT ECHT HUNGER“ ruft es da plötzlich von weitem, jedes Wort wird einzeln betont… ach ja, es ist Sonntag. Mitgliederversammlung im #ClubdertotenMänner. Ich fühle mich nicht nur so – ich bin ein toter Mann.
Zu Fuß mache ich mich auf den Weg, als Letzter duschen ist ohnehin besser. Kann Man(n) anschließend gleich die Dusche sauber machen.

Auf dem Weg überholt mich ein Nachbar – im warmen Auto. Naja, sonst ist er ja ein netter Kerl.

Ich sehe schon den goldenen Schein der Bäckerei, da kommen all die anderen: zu Fuß, mit dem Fahrrad und noch ein paar andere (die sonst bestimmt auch ganz nett sind) mit dem Auto.

Die Fußgänger haben mein Mitgefühl. Sie haben neben der Bestellung so liebevolle Wünsche wie „… ein bisschen Bewegung tut Dir ganz gut…“ mit auf den Weg bekommen. „und nimm den Hund mit!“ Ich bin mir nicht sicher, aber ob die heute noch heiß duschen dürfen…? Die Dusche sauber machen auf jeden Fall!

Die Fahrradfahrer bewahren sich einen Rest an Würde und Freiheit. Sie wirken etwas frischer, einen Hauch besser gelaunt und mit etwas Glück bekommen sie zu Hause noch einen anerkennenden Blick extra. Die Autofahrer… Verräter!

In der Schlange stumm zu warten wärmt mich etwas auf. Die Müdigkeit weicht der stillen Hoffnung, Frl. Meyer heute mein Herz ausschütten zu können. Aber es bleibt bei „vier normale und zwei Roggen“. Ich weiß auch nicht, vielleicht beim nächsten Mal.

Gerade will ich meine duftende Tüte stolz nach Hause tragen, da schallt es laut und munter durch die morbide Stille „guten Moooorgen zusammen“

DER schon wieder mit seiner guten Laune! Ist bestimmt mit dem Auto gekommen.

#SonntagbeimBäcker im #ClubdertotenMänner
#dashausmitdemblauenzaun